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Masern-Erkrankung löscht Teil des Immungedächtnisses

Als einer der ansteckendsten menschlichen Krankheitserreger ist das Masernvirus für sich genommen gefährlich genug, u.a. aufgrund von Komplikationen wie Lungenentzündung und Entzündung des Gehirns. Nun haben internationale Forscher eine weiteres Gesundheitsrisiko entdeckt: Masern lassen das Immunsystem bereits erworbene Abwehrkräfte gegenüber Krankheitserregern wieder verlieren. Das „Gedächtnis“ daran wird größtenteils wieder gelöscht.

Zwei detaillierte Studien, die Blut von ungeimpften niederländischen Kindern, die sich mit Masern infiziert hatten, untersucht hatten, zeigen, wie eine Masern-Infektion das Immunsystem noch für Monate oder Jahre danach beeinträchtigen kann, indem der Körper die Immunität "vergisst", die er gegenüber anderen Krankheitserregern in der Vergangenheit entwickelt hatte. Inwieweit diese "Immunamnesie" Krankheiten und Todesfälle durch andere Infektionen verstärkt, ist nicht klar.
Die Ergebnisse sind ein guter Grund, Kinder gegen das Virus zu immunisieren, betonen die Autoren der Studie und andere Experten. Die Resultate sind besonders ernüchternd, da die Masernfälle 2017 bis 2018 aufgrund von schlechten Durchimpfungsraten und Bedenken hinsichtlich der Impfsicherheit stark zugenommen haben (weltweit um mehr als 30%).

"Wenn wir [Masern] -Ausbrüche zulassen, schaffen wir wissentlich eine Menge von Menschen, die auch für andere Krankheiten anfällig sind", verdeutlichte Dr. Velislava Petrova vom Wellcome Sanger Institute in Hinxton, Großbritannien, die eine der Studien leitete.

"Diese beiden Studien liefern weitere starke Beweise dafür, wie eine Maserninfektion die Abwehrkräfte schädigt und wie eine Masernimpfung dem entgegenwirken könnte", fügte der Biologe Professor Bryan Grenfell von der Princeton University hinzu, dessen Gruppe 2015 frühe Hinweise auf diese schädlichen Folgen einer Maserninfektion vorlegte. Dieser Befund beruhte auf Bevölkerungsdaten, aus denen hervorgeht, dass die Sterblichkeit durch andere Krankheitserreger nach einem Masernausbruch zunimmt. Tierversuche haben ebenso gezeigt, dass das Masernvirus die Abwehrkraft beeinträchtigt.
Untersuchungen bei Kindern ohne Impfung aus einer orthodoxen protestantischen Gemeinde
Petrovas Gruppe und eine andere, angeführt von Professor Stephen Elledge von der Harvard University, beschlossen, dieses Phänomen bei Menschen näher zu untersuchen.

Beide Teams wählten eine bekannte Kohorte von Kindern aus einer orthodoxen protestantischen Gemeinde in den Niederlanden aus, deren Eltern aus religiösen Gründen alle Impfungen für ihre Kinder abgelehnt hatten. Professor Michael Mina, ein Harvard-Virologe, der auch an der Bevölkerungsstudie mitgearbeitet hat, wertete zusammen mit Elledge Blutproben von 77 Kindern vor und nach einer Infektion während eines Masernausbruchs 2013 in den Niederlanden aus.

Kinder verloren nach Maserninfektion 20 bis 70% ihrer erworbenen Antikörper

Dr. Tomasz Kula von Elledge's Labor hatte eine Technologie namens VirScan entwickelt, mit der das Team das Blut infizierter Kinder auf Antikörper gegen die bekanntesten Viren, mit denen sich Menschen infizieren können, testen konnte.

Bevor sich die Kinder mit Masern infizierten, enthielt ihr Blut Antikörper gegen viele verbreitete Krankheitserreger. "Das waren wirklich gesunde Kinder", so Mina. Nach der Krankheit verloren die Kinder durchschnittlich etwa 20% ihres Antikörperrepertoires. Einige erging es viel schlimmer und sie verloren mehr als 70% ihrer Immunität gegen virale Krankheitserreger, berichten die Forscher in Science.

Sie sahen den Effekt nicht in ihren Kontrollen: fünf nicht immunisierte Kinder, die sich im Verlauf der Studie nie mit Masern angesteckt hatten, sowie mehr als 100 andere Kinder und Erwachsene. Sie sahen auch keinen Verlust von Antikörpern bei Kindern, nachdem sie eine Impfung gegen Masern erhalten hatten.

Der verringerte Antikörperschutz bedeutet, dass ungeimpfte Kinder nach einer Maserninfektion wieder anfällig für Viren werden, denen sie in der Vergangenheit schon ausgesetzt waren. Wenn beispielsweise ein Kind vor der Masernerkrankung Mumps durchgemacht hat, ist es nicht es möglicherweise nicht mehr immun und kann sich wieder mit Mumps anstecken.
„Es ist, als würde man das Immunsystem einer Person in einen ursprünglicheren naiveren Zustand zu versetzen", sagte Mina.

Masern-Virus tötet krankheitsspezifische und unspezifische B-Zellen ab

Um den Effekt zu verstehen, analysierte Petrovas Gruppe das Blut der niederländischen Kinder anders. Das Team ging direkt zur Quelle der Antikörper: B-Zellen, von denen bekannt ist, dass sie vom Masernvirus infiziert werden.

Sie stellten fest, dass eine Maserninfektion die Diversität der B-Zellen verringert, die sich an frühere Infektionen "erinnern" und schnell gegen jedes Wiederauftreten vorgehen. Das Virus tötete die B-Zellen ab, die für andere Krankheitserreger spezifisch sind, und ermöglichte neuen masernspezifischen B-Zellen, diese zu ersetzen. Masern verringerten auch die Diversität einer anderen Kategorie von B-Zellen: unspezifische naive B-Zellen im Knochenmark, die bereit sind, unbekannte Infektionen zu bekämpfen. Das bedeutet, dass das Masernvirus nicht nur das Immungedächtnis löscht, sondern es dem Immunsystem auch erschwert, in Zukunft auf neue Krankheitserreger zu reagieren.
Der einzige Weg, um zu verhindern, dass Masern das Immunsystem auslöschen, sei, sich gegen Masern impfen zu lassen, so Mina.

Durchimpfungsraten in Österreich zu niedrig

Um Masern auszurotten müsste eine Durchimpfungsrate von 95% für zwei Impfdosen erreicht wurden. 2018 hatten die 2-5-Jährigen jedoch für beide Impfungen eine Durchimpfungsrate von ungefähr 82% und die 19-30-Jährigen sogar nur knapp 70%.

Quelle: Science AAAS, Science Immunology (1, 2), Science (1, 2), BMASGK