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Australien: Immer mehr Heranwachsende vergiften sich absichtlich selbst

Immer mehr Kinder und Jugendliche vergiften sich absichtlich, und dies zunehmend in jüngerem Alter. Zu diesem Ergebnis kommt eine Auswertung der University of Sydney und des NSW Poisons Information Centre (australisches Giftinformationszentrum, das sich im Kinderkrankenhaus von Westmead befindet).

Die australische Studie über die deutliche Zunahme der Vergiftungsfälle bei Heranwachsenden wurde in der Fachzeitschrift „BMJ Open“ veröffentlicht. Sie berichtet über vorsätzliche Vergiftungen (Überdosierungen) bei jungen Australiern im Alter von 5 bis 19 Jahren zwischen 2006 und 2016. Zur Auswertung hatten die Wissenschaftler einen umfangreichen Datensatz zur Verfügung: 70% der Anrufe bei australischen Giftinformationszentren.

Die Analyse ergab, dass es zwischen 2006 und 2016 mehr als 33.500 Selbstvergiftungen bei Jugendlichen gab. In dieser Zeit stieg die Zahl der Selbstvergiftungen in dieser Altersgruppe um 98%. Insbesondere seit 2011 nahmen die Selbstvergiftungen als Form der Selbstverletzung bei Heranwachsenden zu. Um sich zu vergiften, nutzten die Kinder, Jugendlichen und junge Erwachsenen leicht zugängliche und weit verbreiteten Substanzen wie Haushaltsprodukte und rezeptfreie Medikamente wie Paracetamol sowie Substanzen, die Kindern und Jugendlichen oft verschrieben werden, wie Antidepressiva.

"Die Zahl der Selbstvergiftungen bei jungen Menschen hat sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt, was alarmierend ist", verdeutlichte die Hauptautorin Dr. Rose Cairns von der School of Pharmacy der University of Sydney und leitende Giftexpertin am NSW Poisons Information Center.
"Wir haben festgestellt, dass das Alter sinkt, in dem sich Kinder absichtlich vergiften. Am stärksten sind Heranwachsende betroffen, die nach 1997 geboren wurden.

"Die Daten zeigen, dass weibliche Patienten in unserer Studie viel häufiger eine Überdosis zu sich nehmen als männliche - mit einem Verhältnis von 3 zu 1. "Die am häufigsten verwendeten Medikamente waren rezeptfreie Schmerzmittel wie Paracetamol und Ibuprofen sowie Antidepressiva und Antipsychotika.

Die Experten untersuchten auch den Einsatz psychotroper Medikamente bzw. Psychopharmakas bei Kindern und Jugendlichen und sahen insbesondere bei Antidepressiva einen starken Anstieg. Psychotrope Medikamente werden zur Behandlung von psychischen Problemen verschrieben, zu ihnen gehören Antidepressiva, Antipsychotika, Medikamente gegen Angst und ADHS-Medikamente.
"Wir haben festgestellt, dass es zwischen den am häufigsten verordneten Psychopharmakas und den am häufigsten überdosierten Medikamenten eine erhebliche Überschneidung gibt. Dies könnte bedeuten, dass junge Menschen Psychopharmaka, die sie verschrieben bekommen, missbrauchen", sagte Dr. Cairns.

"Selbstverletzung ist ein wesentlicher Risikofaktor für Selbstmord, sodass diese alarmierenden Ergebnisse leider zu einer Erhöhung der australischen Suizidraten führen könnten."

Die Studienergebnisse im Überblick

  • Es gab 33.501 vorsätzliche Vergiftungen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 5 und 19 Jahren zwischen 2006 und 2016.
  • Es gab von 2006 bis 2016 eine Steigerung von 8,39% pro Jahr, eine Steigerung von insgesamt 98%.
  • Mädchen/Frauen griffen deutlich öfter zu einer Überdosis von Medikamenten und anderen Substanzen als Jungen/Männer – das Verhältnis betrug 3:1.
  • Substanzen, die am häufigsten bei Selbstvergiftungen eingenommen wurden, waren Paracetamol, Ibuprofen, Fluoxetin, Ethanol, Quetiapin, Paracetamol/Opioid-Kombinationen, Sertralin und Escitalopram.
  • Die Abgabe von psychotropen Medikamenten nahm zeitgleich zu, wobei selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) zwischen 2012 und 2016 in der Altersgruppe zwischen 5 und 14 Jahren um 40% und zwischen 15 und 19 Jahren um 35% häufiger verschrieben wurden.
  • Fluoxetin war der am meisten für Heranwachsende verschriebene SSRI.
  • Die Verordnung/Abgabe von Antipsychotika erhöhte sich bei Patienten im Alter von 5-19 Jahren um 11%.
  • Die Abgabe von ADHS-Medikamenten stieg bei Personen im Alter von 5 bis 19 Jahren um 14%.
  • Die Einnahme von Benzodiazepinen (bei Angstzuständen) nahm bei Personen im Alter von 5-19 Jahren um 6% ab.

"Die Ergebnisse der Studie signalisieren eine Generation, die sich zunehmend mit Selbstverletzungen befasst und zunehmend Medikamente verschrieben bekommt, um Symptome psychischer Störungen zu behandeln", fasste Nicholas Buckley, Professor für klinische Pharmakologie der University of Sydney, Charles Perkins Center und der University of Sydney das NSW Poisons Information Center zusammen.

Ähnliche Beobachtungen in anderen Ländern

Insgesamt leidet diese Altersgruppe anscheinend besonders unter steigendem psychischen Stress. "Suizid ist die dritthäufigste Todesursache bei Jugendlichen weltweit. Frühere Studien haben gezeigt, dass selbstverletzendes Verhalten ein Hauptrisikofaktor für einen späteren Selbstmord ist. Daher sind wir besorgt, dass dies die Vorboten für eine Erhöhung der Selbstmordraten bei jungen Menschen in der nächsten Zukunft sein könnten“, so die Autoren.

"Wir sind nicht die einzigen, die dies sehen. Ähnliche Probleme wurden in den USA und Großbritannien dokumentiert, was darauf hindeutet, dass es sich um einen globalen Trend handelt.“

"Diese Ergebnisse zeigen, dass diese Generation möglicherweise einen anderen Ansatz braucht, um bessere Bewältigungsstrategien und eine bessere Belastbarkeit zu entwickeln", forderte Buckley.

Die Rate der Selbstbeschädigung steigt im Jugendalter stark an, insbesondere bei Frauen. Es wird geschätzt, dass sich rund 10% der Jugendlichen irgendwann einmal selbst verletzt haben, wobei Selbstvergiftung bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten zu einer Einweisung ins Krankenhaus führt.

Menschen, die schon ein- oder mehrmals versucht haben, sich selbst zu vergiften, haben ein wesentlich höheres Suizidrisiko als Personen, die dies noch nie getan haben, besonders im Jahr unmittelbar nach ihrer Selbstvergiftung.

Quellen: medicalXpress, University of Sydney, BMJ Open