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Körperliche Strafen führen zu längerfristigen Problemen

Studien belegen, dass körperliche Strafen als Erziehungsmaßnahme das Gegenteil von dem bewirken, was in der Regel von den Ausführenden erwartet wird. Sie bessern nicht das Verhalten, sondern führen bei Kindern im Laufe der Zeit zu einer Zunahme der Verhaltensprobleme.

© Markus Bormann - Fotolia.com

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Es gibt zudem Hinweise darauf, dass eine Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht, d.h., je häufiger ein Kind „Prügelstrafen“ erlebt, desto höher ist sein Risiko für Verhaltens- und andere Probleme.

In Österreich sind körperliche Strafen längst verboten

Österreich gehörte zu den ersten Ländern weltweit, die jede Art von Gewalt gegen Kinder gesetzlich verboten haben. Schweden war das erste Land, das 1979 die Prügelstrafe verbannte, es folgten 1983 Finnland und 1987 Norwegen. In Österreich sind Schläge als erzieherische Maßnahme seit 1989 gesetzlich untersagt. Voraus ging 1974 das Schulunterrichtsgesetz, das körperliche Züchtigung, beleidigende Äußerungen und Kollektivstrafen in der Schule verbot.

„Körperliche Züchtigung löst schädliche psychologische und physiologische Reaktionen aus. Schlagen Erwachsene Kinder, löst dies u.a. Stressreaktionen bei Heranwachsenden aus. Es werden Nervenbahnen aktiviert, die besonders für Gefahrensituationen zuständig sind. Kinder, die körperlich bestraft wurden, neigen längerfristig dazu, schnell und stark auf Stress zu reagieren und Schwierigkeiten bei dessen Bewältigung zu haben und auch psychische Störungen zu entwickeln. Es gibt auch Hinweise darauf, dass sich solche Disziplinierungsmaßnahmen negativ auf die Schullaufbahn auswirken“, fasst der ärztliche Leiter der Kinderschutzgruppe an der Kinderklinik in Innsbruck, Dr. Klaus Kapelari von der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ), die derzeitigen Erkenntnisse zu diesem Thema zusammen.

In Krisenzeiten erhöht sich das Risiko für aggressiven Erziehungsstil  

Insbesondere in Krisenzeiten sind Eltern oft stark belastet, reagieren dann aggressiver als gewöhnlich und greifen evtl. sogar zu körperlichen Strafen. So konnten Forschungsarbeiten eine Zunahme von körperlichen Strafen und des Missbrauchsrisikos bei Kindern infolge der Pandemie beobachten, u.a. auch, weil viele Familien in eine wirtschaftliche Notlage geraten waren. „Bevor Eltern völlig überfordert sind und Gefahr laufen, ihre Beherrschung zu verlieren, sollten sie sich an ihren Kinder- und Jugendarzt wenden. Er kann u.a. Unterstützungsangebote für junge Familien aufzeigen - zum Beispiel die Einrichtung ‚Frühen Hilfen‘, die Eltern bei der Betreuung ihrer kleinen Kinder zur Seite steht,“ erklärt OA Dr. Kapelari, Vizepräsident der Tiroler Ärztekammer und Leiter des von ihm dort gegründeten Referats für Kinder- und Opferschutz. „Leider hat man es häufig mit Gewaltsystemen zu tun. Die Wahrscheinlichkeit, dass gewaltbetroffene Kinder in Familien leben, in denen es auch zu anderen Formen von Gewalt kommt, ist sehr hoch. Auch die reine Zeugenschaft von Gewalt in Erwachsenenbeziehungen hat für Kinder weitreichende Konsequenzen. Wirklich effizienter Schutz für Betroffene in diesen Gewaltsystemen kann nur gelingen, wenn alle Aspekte gesehen werden“, ergänzt Kapelari.

Ist ein Elternteil oder Kind psychisch oder körperlich erkrankt, stellt dies ebenso eine extreme Belastung für die Familie dar. Betroffene sollten deshalb Hilfsangebote nutzen. Derzeit gibt es 26 regionale Netzwerke der Frühe Hilfen in Österreich.

Auch vermeintlich „leichte Ohrfeigen“ oder „Klapse auf den Po“ können sich negativ auswirken

Selbst "moderatere" körperliche Züchtigung beeinflusst die Gehirnentwicklung von Kindern negativ. Es treten Veränderungen in Gehirnbereichen auf, die auch bei Misshandlung aktiv sind. Eine aktuelle kanadische Studie konnte beobachten, dass Heranwachsende, die etwa dreimal oder mehr in ihrem Leben Schläge erhalten hatten, bereits ein deutlich erhöhtes Risiko für psychische Störungen als Jugendliche hatten. Zudem sind körperliche Übergriffe mit einem erhöhten Wiederholungsrisiko und einer Tendenz zur Eskalation assoziiert.

Während ein Großteil der Österreicher 2020 in einer Umfrage körperliche Strafen ablehnten und gewaltfreie Erziehung für die ideale Erziehungsform hielten (78%), war jedoch mehr als jeder fünfte Österreicher (21%) der Meinung, dass leichte körperliche Bestrafungen (z.B. Klaps auf den Po, leichte Ohrfeige) nicht bedenklich seien und etwa fast so viele (18%) hielten drastischere Maßnahmen für ein notwendiges Erziehungsmittel.

Kinderschutzzentren helfen bei körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt

Es gibt zahlreichen Kinderschutzzentren in Österreich, wie u.a. „Die Möwe“, die Kindern, Jugendlichen und deren Bezugspersonen konkrete Unterstützung und professionelle Hilfe bei körperlichen, seelischen und sexuellen Gewalterfahrungen bieten. Ein Verzeichnis der Zentren finden Interessierte beim Bundesverband Österreichischer Kinderschutzzentren.

Quellen

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Dies ist eine Pressemeldung der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ). Der Abdruck dieser Pressemeldung oder von Teilen des Artikels ist unter folgender Quellenangabe möglich: www.kinderaerzte-im-netz.at. Bei Veröffentlichung in Online-Medien muss die Quellenangabe auf diese Startseite oder auf eine Unterseite des ÖGKJ-Elternportals verlinken. Fotos und Abbildungen dürfen grundsätzlich nicht übernommen werden.