„Fast ein Drittel der Erkrankten hat mit Folgen zu rechnen – insbesondere Säuglinge und Kleinkinder, über 20-Jährige sowie abwehrgeschwächte Personen“, gibt Priv.-Doz. Dr. Hans Jürgen Dornbusch, Leiter des Referats Impfkommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ), zu bedenken.
Virus kann im ganzen Körper Schäden verursachen – auch im Gehirn
Masern betreffen nicht nur Haut und Schleimhäute, sondern den ganzen Körper. Zu den Komplikationen, die bei 20–30 % der Masernerkrankten auftreten, gehören schwere Mittelohrentzündungen, Durchfälle, Lungenentzündungen, Gehirnentzündungen mit häufigen Folgeschäden und eine langanhaltende Immunschwäche.
Eine Enzephalitis, also eine Entzündung des Gehirns, ist eine äußerst schwerwiegende und potenziell tödliche Komplikation der Masern. Sie kann insbesondere bei Säuglingen innerhalb der ersten sieben Tage nach Erkrankungsbeginn als akute Masernenzephalitis auftreten. Bei Immunschwäche kann sie auch Monate nach der Infektion als Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis (MIBE) oder sogar Jahre nach der vollständigen Genesung als subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) auftreten. „Letztere entwickelt sich etwa sieben bis zehn Jahre nach einer Maserninfektion, endet immer tödlich und tritt umso häufiger auf, je jünger das Kind zum Zeitpunkt der Masernerkrankung war“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Dornbusch, der auch Vorsitzender der Vaccination Working Group der European Academy of Paediatrics (EAP) ist.
Außerdem verursachen Masern durch Schwächung des Immunsystems ein mehrere Jahre anhaltendes erhöhtes Risiko, schwer an anderen Infektionskrankheiten zu erkranken und in Einzelfällen sogar zu versterben, was durch Masern-Impfung nachweislich verhindert werden kann.
Hohe Ansteckungsfähigkeit erfordert flächendeckenden Impfschutz
Da das Masernvirus hoch ansteckend ist und ein Virusträger bis zu 18 weitere ungeschützte Menschen infizieren kann, ist eine hohe Durchimpfungsrate von ≥ 95% mit zwei Teilimpfungen erforderlich, um eine wirksame Herdenimmunität gegen die Übertragung von Masern aufrechtzuerhalten und so Risikogruppen, insbesondere junge Säuglinge, die noch nicht geimpft werden können, zu schützen. Dieses Ziel erreichten bislang nur vier europäische Länder (Ungarn, Malta, Portugal und die Slowakei). In Österreich wird dieses Ziel in keiner Altersgruppe erreicht, bei den besonders gefährdeten Kindern unter 5 Jahren liegt die Durchimpfungsrate sogar unter 85%.
Im Rahmen der Coronapandemie waren viele Impfprogramme beeinträchtigt, was zu einer geringeren Impfbereitschaft geführt hat. In der Ukraine bleiben aufgrund des Krieges die bereits zuvor großen Impflücken bestehen, was weiterhin zu Ausbrüchen führt. Neben der Ukraine waren die Demokratische Republik Kongo, Madagaskar, Samoa und Brasilien seit 2019 die am stärksten von Masernausbrüchen betroffenen Länder. So konnte das Masernvirus wieder deutlich an Boden gewinnen.
Im Jahr 2024 verzeichnete die europäische Region die höchste Zahl an Masernfällen seit über 25 Jahren und machte 20 % der weltweiten Masernlast aus. „Die Hauptursache für den Wiederanstieg der Masernfälle ist das Versäumnis, zu impfen, nicht das Versagen des Impfstoffs”, so Priv.-Doz. Dr. Dornbusch, Kinder- und Jugendarzt mit Ordination in Graz.
Die abnehmende internationale Impfunterstützung durch die USA hat spürbare Auswirkungen auf weltweite Impfprogramme. Zwar gelten Masern in den USA seit dem Jahr 2000 offiziell als eliminiert, doch aktuelle Ausbrüche gefährden diesen Status – insbesondere angesichts des jüngsten Ausbruchs mit mittlerweile über 1 500 Fällen seit Jahresbeginn. Die Impfraten gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) bei Kindergartenkindern sind dort von 95,2 % im Zeitraum 2019–2020 auf 92,7 % im Zeitraum 2023–2024 gesunken.
Masern-Situation in Europa – fehlendes Risikobewusstsein
Fehlinformationen und eine geringere Wahrnehmung des Krankheitsrisikos in der Bevölkerung haben in Europa zu sinkenden Impfraten und gehäuftem Auftreten impfpräventabler Krankheiten geführt.
In der europäischen WHO-Region wurden 2024 über 127.000 Masernfälle gemeldet, doppelt so viele Fälle wie im Vorjahr und die höchste Zahl in der Region seit 1997.
Säuglinge unter einem Jahr waren dem ECDC zufolge am stärksten betroffen, gefolgt von Kindern im Alter von 1–4 Jahren. „Bedenkt man, dass gerade diese Altersgruppe das höchste Risiko für schwere Komplikationen trägt, ist dies sehr beunruhigend“, betont Priv.-Doz. Dr. Dornbusch. Kinder, die sich im ersten Lebensjahr mit dem Masernvirus anstecken, haben ein Risiko von 1:600 (vor der frühestmöglichen Impfung mit 6 Monaten sogar bis zu 1:150) für ein späteres Auftreten der noch unheilbaren SSPE.
Österreich lag 2024 mit 542 bestätigten Masernfällen im europäischen Spitzenfeld (aus Deutschland wurden vergleichsweise 645, aus den USA „nur“ 285 Fälle gemeldet). Seit Jahresbeginn 2025 wurden in Österreich 138 Masernfälle erfasst (Stand 6. August 2025). Ein Viertel der Patient*innen musste im Spital behandelt werden, 1 davon auf einer Intensivstation.
Masernrisiko auch in beliebten Reiseländern
In mehreren europäischen Urlaubsländern wurden im Jahr 2025 hohe Fallzahlen gemeldet. So warnte die britische Boulevardzeitung „The Sun“ britische Sommertouristen mehrfach vor einer erhöhten Ansteckungsgefahr in Spanien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien und Rumänien. Laut dem ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) gehören auch Deutschland und Österreich 2025 wieder zu den europäischen Spitzenreitern bei den Masernfällen.
Impfpflicht?
Die europäischen Länder haben mit verschiedenen Maßnahmen versucht, dem Ausbruchsgeschehen entgegenzuwirken – vielfach auch mittels verpflichtender Impfprogramme.
Die Impfung gegen Masern (in Form einer kombinierten Masern-Mumps-Röteln-Impfung) ist in elf von 30 europäischen Ländern verpflichtend (Ungarn, Bulgarien, Kroatien, Slowenien, Italien, Frankreich, Deutschland, Tschechische Republik, Slowakei, Polen und Lettland). Dies hat sich als wirksame Methode erwiesen, um die Impfraten zu steigern. In allen übrigen Ländern wird die MMR-Impfung dringend empfohlen. Dort ist es den Eltern überlassen, die richtige Entscheidung für ihr Kind zu treffen.
Die MMR-Impfung wird ab einem Alter von 9 Monaten empfohlen, in Ausbruchssituationen bereits ab 6 Monaten.
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